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Klimaforscher setzen Finanzwelt unter Druck

Grüne Investitionen, Abbau von Kohlesubventionen, Klimaschutz als soziale Norm: In einer Studie benennen Forscher sechs Kipppunkte, mit denen das Null-Emissionen-Ziel sprunghaft erreicht werden könnte.



Spiegel Wissenschaft // 20. Januar 2020

Es war eine handfeste Überraschung: In der vergangenen Woche veröffentlichte ausgerechnet Larry Fink, Chef der mächtigen US-Investmentfirma Blackrock, ein Plädoyer für klimafreundlichere Investments. In einem Brandbrief an zahlreiche Topmanager weltweit führender Konzerne kündigte er an, dass der größte unabhängige Vermögensverwalter der Welt künftig Klimaschutz zum Kern der Unternehmenspolitik machen werde. Bislang war Blackrock vor allem als der weltgrößte Investor bei Kohleprojekten bekannt.


Finks Ankündigung dürfte ein deutliches Zeichen dafür sein, dass sich auch im Finanzsystem ein zumindest zögerliches Umdenken in Richtung klimafreundlicherer Strategien abzeichnet. Ganz altruistisch dürfte dieser Sinneswandel allerdings nicht daherkommen: Offenbar befürchten immer mehr Investoren, dass sich ihr Engagement für fossile Brennstoffe nicht mehr rentiert. Schon jetzt gibt es Kürzungen bei der finanziellen und versicherungstechnischen Unterstützung von Kohleprojekten.


Glaubt man den Autoren einer neuen Studie, könnte genau dies einen von vielen entscheidenden Wendepunkten hin zu mehr Klimaschutz darstellen. "Simulationen zeigen, dass nur neun Prozent der Investoren ausreichen würden, um das Finanzsystem entscheidend zu wandeln. Das wiederum würde andere Investoren dazu veranlassen, dem Vorbild zu folgen", schreibt eine internationale Forschergruppe unter Führung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).


Ziel: Null Emissionen im Jahr 2050

In ihrer Studie, die in den "Proceedings" der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS") erschienen ist, nennen die Wissenschaftler neben dem Finanzsystemweitere fünf Bereiche, in denen sich entscheidende Trendwenden vollziehen könnten, um den gesamten globalen Treibhausgasausstoß bis 2050 auf null zu reduzieren. Das Team um den ehemaligen PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber hat dazu zahlreiche Expertenvorschläge analysiert. Die Ergebnisse im Einzelnen:


Energieerzeugung

Hier müsste der Trend weg von fossilen Brennstoffen gehen. Dabei ist vor allem die Politik gefordert: 2015 waren die Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas noch mehr als doppelt so hoch wie die Subventionen für erneuerbare Energien. Außerdem empfehlen die Forscher einen Umbau der Energieversorgung von zentralen Kraftwerken hin zu dezentraler Energiegewinnung, etwa durch Solar- und Windkraft.


Städte

Direkte und indirekte Emissionen von Gebäuden summieren sich weltweit zu 20 Prozent des Treibhausgasausstoßes. Die Wissenschaftler schlagen große Vorzeigeprojekte vor, in denen zu klimafreundlichem Bauen angeregt werden könnte. So könne ein großes Gebäude, das zu 80 Prozent aus laminiertem Holz errichtet werde, Tausende Tonnen Kohlendioxid (CO2) vermeiden. Auch in der öffentlichen Infrastruktur von Städten besteht den Forschern zufolge ein großes CO2-Einsparpotenzial.


Normen und Werte

Die Nutzung fossiler Brennstoffe, die den Forschern zufolge nicht im Einklang mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens steht, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, sei "unmoralisch". Solches Handeln verursache schwerwiegende und unnötige Schäden. "Das Bewusstsein für die globale Erwärmung ist hoch, aber die gesellschaftlichen Normen zur grundlegenden Veränderung des Verhaltens sind es nicht", wird Co-Autor und PIK-Direktor Johan Rockström in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. Dies gelte es zu ändern: "Längerfristig ist wohl ein neues soziales Gleichgewicht erforderlich, in dem der Klimaschutz als soziale Norm anerkannt wird."


Bildungssystem

"Nachhaltigkeit kann nicht auferlegt werden, sie muss gelernt werden", schreiben die Studienautoren. Deshalb plädieren sie dafür, in deutlich höherem Maße als bislang eine umwelt- und klimabewusste Lebensweise in den Schulunterricht einzubeziehen. Qualitativ hochwertige Bildung unterstütze und erweitere Normen und Werte und könne schnell zu Verhaltensänderungen bei Einzelpersonen und ihren Kohorten führen, betonen die Wissenschaftler.


Verbraucherinformationen

Wichtig für einen gesellschaftlichen Wandel sind nach der Einschätzung der Forscher auch Informationen für die Verbraucher. Ähnlich wie Nährwertangaben bei Lebensmitteln könne zum Beispiel über Angaben zum Ausstoß von Treibhausgasen zur Herstellung eines Produkts auf jeder Packung nachgedacht werden. "Es sollte den Menschen einfach gemacht werden, einen klimaneutralen Lebensstil zu führen", sagt Rockström.


Kritiker: Studie blendet politische Machtfragen aus

Andreas Ernst von der Universität Kassel, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, ist der Ansicht, dass "Social Tipping Interventions" ein sehr guter Weg seien, den Blick auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten des Umsteuerns zu richten. Geschickt platzierte Maßnahmen könnten umfassende Erfolge bei der Bewältigung der Klimaerwärmung haben. "Wie etwa ein einzelner Skifahrer eine gewaltige Lawine auslösen kann", sagt der Professor für Umweltsystemanalyse.


Der Fokus auf die positive soziale Dynamik sei eine gute neue Entwicklung. "Die in der Studie vorgestellten Ansatzpunkte – Technologie, Finanzsystem und so weiter – sind an sich keineswegs neu", sagt Ernst. "Neu ist die Hypothese, dass es mit bestimmten, eleganten Interventionen gelingt, großflächige Veränderungen auszulösen." Die in der Studie besprochenen Eingriffe blendeten allerdings noch politische und wirtschaftliche Machtfragen als wesentliche Beharrungsfaktoren völlig aus.


Maria Daskalakis vom Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Kassel gibt zu bedenken, dass es eines fachübergreifenden Ansatzes bedürfe, um der Komplexität der Themenstellung gerecht zu werden. "Die Idee, es gäbe einige wenige soziale Kippelemente, mit denen das Ruder herumgerissen werden könnte, scheint mir hier nicht zielführend."


Daskalakis empfiehlt außerdem einen vorsichtigen Umgang mit den Ergebnissen der Studie. Der Rücklauf bei der Expertenbefragung sei niedrig gewesen, zudem hätten vor allem europäische Experten geantwortet. "Es ist festzustellen, dass die Antworten der Befragten wohl sehr unterschiedlich waren", so Daskalakis. "Dies führt dazu, dass die identifizierten Maßnahmen dann teilweise von nur relativ wenigen Personen empfohlen wurden."


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