Es ist ein Hoffnungsschimmer für viele Hauseigentümer: Berechnungen des Biogas-Verbandes zeigen ein überraschend großes Wärme-Potenzial bei Biomethan. Bereits 2030 könnten so sieben Millionen Haushalte klimaneutral beheizt werden - und ihre Gasheizungen weiternutzen.
Der Koalitionsausschuss der Ampelparteien hatte sich vergangene Woche nach Kräften bemüht, den Hauseigentümern die Angst vor einem "Heizungsverbot" zu nehmen. Gas- und Ölheizungen dürfen nach dem 1. Januar 2024 jetzt nicht nur weiterbetrieben – sondern sogar neu eingebaut werden, wenn sie denn in Zukunft nachweislich mit klimaneutralen Brennstoffen betrieben werden.
Das Potenzial dafür ist womöglich größer als gedacht. WELT liegen exklusiv Berechnungen des Fachverbandes Biogas vor. Das Ergebnis überraschte selbst Brancheninsider: "Bereits 2030 könnten 7.142.857 Haushalte mit Biomethan beheizt werden", heißt es im Fazit. "Das entspräche in etwa 18 Prozent der deutschen Haushalte von rund 41,5 Millionen."
Zugrunde gelegt hatte der Fachverband den durchschnittlichen Energieverbrauch eines Einfamilienhauses mit 140 Quadratmeter Wohnfläche und Baujahr 2002, das den Vorgaben gemäß zu 65 Prozent klimaneutral beheizt werden müsste. "Sollte der Energieeffizienz moderner Neubauten weiter steigen, ließen sich weitaus mehr Haushalte mit klimaneutraler Wärme versorgen", heißt es im Ergebnis.
Bislang hatten Fachleute eher Wasserstoff als Erdgas-Ersatz im Gebäudebestand in den Blick genommen – und als vorerst sehr teure Lösung verworfen. Eine Potenzialanalyse für Biomethan fehlte in der öffentlichen Diskussion. Die vom Fachverband als möglich erachtete Größenordnung überrascht nun. Biomethan könnte demnach helfen, rund die Hälfte der 14 Millionen verbauten Gasheizungen in Deutschland klimaneutral weiterzubetreiben.
Deutschland hat in Europa mit knapp 10.000 Anlagen den größten Bestand an Biogas-Anlagen. Die meisten dafür produzieren jedoch für die Herstellung von Elektrizität, nur rund 250 Anlagen speisen direkt ins Erdgasnetz ein. Besonders effizient ist von Biogas in sogenannter Kraft-Wärme-Kopplung, die Elektrizität und Wärmeenergie gleichzeitig bereitstellt.
"Laut großräumigen Analysen des Deutschen Biomasse Forschungszentrums (DBFZ) können rund 2000 bestehende Biogasanlagen, die aktuell das Gas noch am Anlagenstandort zu Strom- und Wärmeerzeugung nutzen, allein oder im Verbund mit anderen Anlagen auf die Gaseinspeisung umgerüstet werden", argumentiert der Fachverband nun: "Dadurch könnte die Biogaseinspeisung auf circa 35 Terawattstunden angehoben werden.“
Bis 2050 wären sogar 161 Terawattstunden möglich
Wenn dann noch bestehende Anlagen vergrößert und neue hinzugebaut werden, ließe sich ein nennenswerter Teil des Wärmebedarfs des Gebäudesektors damit dekarbonisieren. "Der Fachverband Biogas (FvB) schätzt, dass die Biomethanproduktion in Deutschland ohne eine Ausdehnung der Anbauflächen für Energiepflanzen bereits bis 2030 auf 112 Terawattstunden ausgeweitet werden kann", heißt es in der Rechnung: "Bis 2050 wären sogar 161 Terawattstunden möglich.“
Viele Immobilienbesitzer hatten zuletzt befürchtet, nach einem Heizungsschaden zum Einbau einer teuren Wärmepumpe oder Pelletheizung verpflichtet zu werden. Denn anders würden sich die Vorgaben des geplanten Gebäude-Eenergie-Gesetzes (GEG) nicht erfüllen lassen: Danach soll ab dem 1. Januar 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. So hatte es schon der Koalitionsvertrag apodiktisch angekündigt.
Der mediale Aufschrei, den die faktische Wärmepumpenpflicht ausgelöst hatte, bewegte die Koalition erst in der vergangenen Woche zum Einlenken: Am Dienstag milderten die Ampelparteien die 65-Prozent-Vorgabe mit einem "möglichst" ab: Technologieoffen solle die Wärmewende im Heizungskeller ausgestaltet werden. "Ausreichende Übergangszeiträume" werde es geben, "unbillige Härten" – auch für Mieter – werde man ausschließen: "Niemand wird im Stich gelassen."
Nur: Wie genau dieses Versprechen im Gesetz eingelöst wird, ist noch offen. Das Gesetz soll noch im April ausgearbeitet und vor der Sommerpause verabschiedet werden. In einem Hintergrundpapier, das WELT vorliegt, stellen die Grünen klar, dass sie die Wärmepumpe weiterhin zur Standardheizung in Deutschland machen wollen, ungeachtet Befürchtungen, gerade im Winter könnte nicht genügend grüne Elektrizität für den Betrieb von Millionen von Wärmepumpen zur Verfügung stehen.
"Menschen mit niedrigen oder mittleren Einkommen sollen für eine durchschnittliche Wärmepumpe unterm Strich nicht mehr zahlen als für eine herkömmliche Gasheizung", heißt es im Papier der Ökopartei: "Auch gehen wir davon aus, dass Wärmepumpen bald günstiger werden, wenn die Industrie mehr davon produziert; entsprechend wird dann die Förderung angepasst.“
Wasserstofffähige Gastherme reicht nicht
Die versprochene "Technologieoffenheit" wird zudem an Bedingungen geknüpft. So soll es nicht ausreichen, künftig einfach eine für Wasserstoff-Verbrennung ausgelegte Gastherme mit "H2-ready-Label" zu installieren. Die Befürchtung der Grünen: Die würde dann bis zum Sankt-Nimmerleinstag doch nur mit fossilem Erdgas weiterbetrieben.
"In der Fachabstimmung wird derzeit abgestimmt, unter welchen Umständen eine Gasheizung als "H2-ready" eingebaut werden kann", heißt es in dem Grünen-Papier zum Ergebnis des Koalitionsausschusses: "Dafür werden wir klare Kriterien festlegen, damit es einen verbindlichen Transformations- und Investitionsplan für ein Wasserstoffnetz gibt; eine reine Absichtserklärung reicht nicht.“
Soll heißen: Erst wenn der örtliche Gasversorger sich "verbindlich zu Investitionen ins Netz verpflichtet" und in einem "Transformationspfad" nachweist, dass er klimaneutrale Brennstoffe auch wirklich liefern kann, soll dem Hauseigentümer der Einbau einer neuen Gasheizung erlaubt werden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich deshalb nach der Ausschuss-Sitzung entspannt gezeigt: Wasserstoff für Heizzwecke werde aus seiner Sicht so teuer sein, dass diese Option nur für wenige Wohlhabende infrage komme. Botschaft: Für die breite Masse bleibt die Wärmepumpe die bessere Lösung.
Der starke Fokus der Politik auf die Zukunftsenergie Wasserstoff drängte jedoch die Option Biomethan bislang weitgehend aus der Betrachtung. Nach den Berechnungen des Fachverbandes könnte der Einsatz dieses einheimischen Brennstoffs jedoch zum wichtigen Mosaikstein einer bezahlbaren Wärmewende werden
(Quelle: WELT+ 03.04.2023)
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